Der Schwerpunkt der Erhebung & Analyse von Recht & Vollzug liegt zum einen darauf,
die Komplexität für Nutzer:innen aus der Rechts- und Vollzugsgestaltung abzuleiten (u.a. durch
Zuständigkeitsverteilung und Formularkomplexität) und zum anderen die Machbarkeit von
nachnutzbaren bzw. übertragbaren Artefakten abzuschätzen.
6.2.1 Rechtliche Grundlagen und Zuständigkeiten im Vollzug
In einem ersten Schritt werden die gesetzlichen Grundlagen der Leistungen identifiziert, soweit diese nicht bereits im LeiKa erfasst sind, und geprüft, inwieweit durch Landes- und Kommunalrecht hiervon abgewichen bzw. spezifiziert wird. In einem zweiten Schritt sollten die im Vollzug zuständigen Behörden identifiziert werden, inkl. dem Merkmal, wonach sich die Zuständigkeit richtet (z.B. Meldeadresse, Arbeitsort, Geburtsort usw.).
Darüber hinaus sollten für priorisierte Leistungen zusammen mit den beteiligten
Verwaltungspartnern die politisch-regulatorischen Ziele herausgearbeitet werden, die mit den
entsprechenden Leistungen erzielt werden sollen und deren Erreichung ggf. durch die
Digitalisierung der Leistungen zusätzlich unterstützt werden kann.
Abbildung 44: Mögliches
Vorgehen für die vertiefte Erhebung & Analyse der Rechts- und Vollzugsgestaltung
priorisierter Leistungen
Abbildung 45: Exemplarische
Analyse der Vollzugs- und Regelungsverantwortung
Auf Basis der Regelungsvarianz
(unterschiedliches Recht) und Vollzugsverteilung lässt sich zum einen die Komplexität für
Nutzer:innen abschätzen und zum anderen, wie weitreichend Lösungen übertragen bzw. nachgenutzt
werden können – von gemeinsamen FIM-Stamminformationen bis hin zu gemeinsamen Services im
Frontend.
Darüber hinaus hat die Anzahl zuständiger Behörden Einfluss auf den Umsetzungsaufwand und die
-varianten.
Abbildung 46: Exemplarische
Erhebung der Anzahl zuständiger Behörden
Hintergrund ist, dass die
Zuständigkeitsverteilung im deutschen Föderalismus deutlich unterschiedlich ausfallen kann.
Darüber hinaus richtet sich die Zuständigkeit oftmals nach stark unterschiedlichen Merkmalen,
z.B. nach der Meldeadresse, dem Arbeitsort oder der Art des Krankenversicherungs- oder
Arbeitsverhältnisses, was bei der Nutzer:innenführung durch die Lebens- bzw. Geschäftslage zu
berücksichtigen ist.
6.2.2 Formularinhalte und Nachweisanforderungen
Neben der Verteilung der Zuständigkeit ist für die Ableitung von Umsetzungsvarianten und des
Grades der Nachnutzbarkeit die Unterschiedlichkeit von Formularen und Nachweisen relevant.
Aufgrund dessen werden die erforderlichen Formulare und Nachweise für priorisierte Leistungen
erhoben, insbesondere mit Blick auf unterschiedliche Ausprägungen für identische
Leistungen.
Abbildung 47: Mögliches
Vorgehen für die vertiefte Erhebung & Analyse der Formularlandschaft und
Nachweiserfordernisse priorisierter Leistungen
Im Rahmen erster vertiefter Analysen
für priorisierte Leistungen hat sich gezeigt, dass vielfach kein erkennbarer Zusammenhang
zwischen Unterschieden im Recht einerseits und unterschiedlichen Formularen andererseits
besteht. Gleiches gilt für den Grad der Zuständigkeitsverteilung und der
Formularunterschiedlichkeit. Dies deutet darauf hin, dass auch bei starker
Zuständigkeitsverteilung Artefakte weitreichend nachgenutzt werden könnten. Grundsätzlich ist im
Rahmen dieser Analysen zu hinterfragen, inwieweit unterschiedliche Formular- und
Nachweisanforderungen für identische Leistungen bei identischer Rechtsgrundlage erforderlich
sind und ob eine Formularharmonisierung zu initiieren ist.
Abbildung 48: Exemplarische
Analyse der Formularunterschiedlichkeit ausgewählter Leistungen
Mit Blick auf die
Wiederverwendung von Daten sind jene Daten von herausgehobener Bedeutung, die für
unterschiedliche Leistungen immer wieder von Nutzer:innen abgefragt werden. Solche
leistungsübergreifend immer wieder erhobenen Daten können durch Kodierung der Formulare auf
Datenfeldgruppenebene identifiziert werden. Hierfür können exemplarisch Formulare aus einem Land
(beispielsweise dem Federführer) verwendet werden, da bislang FIM Datenfeldbeschreibungen nicht
in nennenswertem Umfang vorliegen, die eine solche übergreifende Betrachtung unterstützen
würden.
Abbildung 49: Exemplarische
Analyse der leistungsübergreifend häufig erhobenen Datenfeldgruppen
In ähnlicher Form
kann es ausreichen, erforderliche Nachweise für Leistungen stellvertretend in einem Land zu
erheben. Abzugrenzen sind hierbei die obligatorischen Nachweise, welche für die Minimalvariante
eines funktionsfähigen Services (MVP) notwendig sind (z.B. Geburtsurkunde beim Erstantrag auf
Kindergeld), von fakultativen Nachweisen, die nur bei bestimmten Fallkonstellationen erbracht
werden müssen (z.B. Schwerbehindertenausweis beim Kindergeldantrag für ein Kind mit
Behinderung).
Die Anzahl der für eine Leistung erforderlichen Nachweise lässt Rückschlüsse auf die
Bürokratiebelastung der Nutzer:innen zu, da die Nachweise häufig erst von anderen Behörden
eingeholt werden müssen.
Abbildung 50:
Exemplarische Analyse der Formerfordernisse
Abbildung 51:
Exemplarische Analyse der Nachweisintensität von Lebenslagen
Die Nachweisintensität kann
darüber hinaus Rückschlüsse darauf zulassen, mit welchem Aufwand eine vollständige
Digitalisierung des Antragsprozesses umgesetzt werden kann. Hintergrund ist, dass zahlreiche
Nachweise von der Verwaltung bislang lediglich in Papierform ausgestellt werden (z.B.
Geburtsurkunde).
Eine häufige Digitalisierungshürde sind zudem Formerfordernisse. Dazu zählen u.a. gesetzliche Schriftformerfordernisse sowie die persönliche Antragstellung. Dafür kann die Normenscreening-Datenbank (https://normenscreening.bmi.bund.de) genutzt werden.
6.2.3 Bemessungsgrundlagen und Verwaltungsprozess (für Laborleistungen)
Für Verwaltungsleistungen, die im Digitalisierungslabor fundiert nutzer:innenorientiert gestaltet
werden sollen, ist ein Verständnis der spezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B.
Anspruchsvoraussetzungen, Bemessungslogik) erforderlich. Hierzu hilft eine Aufbereitung
wesentlicher Eckpunkte im Rahmen der Ist-Analyse. So wurde im Pilotlabor Wohngeld z.B. eine
Übersicht der Kriterien für einen Wohngeldanspruch (Abbildung 52).
Abbildung 52: Beispiel:
Kriterien für Wohngeldanspruch
Darüber hinaus wurde die Bemessungslogik für das Wohngeld
aufbereitet (Abbildung 53).
Abbildung 53: Beispiel:
Aufbereitung Bemessungslogik Wohngeld
Eine für
Digitalisierungslabore weitere wichtige Information zur Entwicklung eines
nutzer:innenfreundlichen digitalen Ziel-Prozesses ist die Analyse der aktuellen Abläufe
innerhalb der öffentlichen Verwaltung sowie möglicher bestehender Schmerzpunkte aus
Verwaltungssicht. Abbildung 54 beschreibt beispielhaft die verwaltungsinternen Prozessschritte
bei der Bearbeitung von Wohngeldanträgen und zeigt die Schmerzpunkte aus Sicht der
Vollzugsmitarbeitenden auf.
Abbildung 54: Behördliche
Prozessschritte beim Erstantrag auf Wohngeld
Aus dieser Analyse verwaltungsinterner
Prozesse können Implikationen für die Digitalisierung der jeweiligen Leistung abgeleitet werden
wie z.B. technische Hürden der Umsetzung oder datenschutzrechtliche Fragen. Weiterhin kann
versucht werden, durch die Einführung eines Online-Antrags auch Schmerzpunkte aus
Verwaltungssicht zu beheben.
Die folgende Tabelle gibt mit Blick auf die unterschiedliche Priorität der Leistungen Hinweise, in welchem Umfang die einzelnen Merkmale in den Themenfeldern erhoben und analysiert werden sollten:
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Laborleistungen |
Laborkandidaten |
Mittlere Priorität |
Depriorisiert |
Zuständigkeit |
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Formulare |
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Nachweise |
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Stand: 06.10.2021
Attachments:
6.2 Exemplarische Analyse der Nachweisintensität von Lebenslagen (image/png)
6.2 Exemplarische Analyse der Formerfordernisse (image/png)
6.2 Exemplarische Analyse der leistungsübergreifend häufig erhobenen Datenfeldgruppen (image/png)
6.2 Exemplarische Analyse der Formularunterschiedlichkeit ausgewählter Leistungen (image/png)
6.2 Mögliches Vorgehen für die vertiefte Erhebung & Analyse der Formularlandschaft und Nachweiserfordernisse priorisierter Leistungen (image/png)
6.2 Exemplarische Erhebung der Anzahl zuständiger Behörden (image/png)
6.2 Exemplarische Analyse der Vollzugs- und Regelungsverantwortung (image/png)
6.2 Mögliches Vorgehen für die vertiefte Erhebung & Analyse der Rechts- und Vollzugsgestaltung priorisierter Leistungen (image/png)
6.2 Behördliche Prozessschritte beim Erstantrag auf Wohngeld (image/jpeg)
6.2 Beispiel Aufbereitung Bemessungslogik Wohngeld (image/png)