Der Schwerpunkt der Nutzer:innen-Dimension liegt auf der
Identifikation der Zielgruppe einer Leistung sowie dem Nutzer:innenprozess und der
-interaktion.
Die Zielgruppe einer Leistung lässt sich allgemein aus den gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen
ableiten (z.B. Einkommen nicht höher als X Euro, Alter unter Y Jahren). Die gesetzlichen
Grundlagen geben darüber hinaus erste Anhaltspunkte für Kontakterfordernisse, deren zeitlichen
Umfang (z.B. zeitliche begrenzte Bewilligungsdauer mit wiederholten Nachweiserfordernissen) und
die Auslöser des Kontakterfordernisses (z.B. Erwerb eines anmeldepflichtigen
Objektes).
Abbildung 30: Exemplarische
Analyse der Zielgruppenspezifität von Leistungen
Auf dieser Basis kann eine erste
Segmentierung von Leistungen vorgenommen werden in Leistungen mit unspezifischen
Anspruchsvoraussetzungen (Kernleistungen) einerseits sowie Leistungen mit mittlerer oder hoher
Spezifität andererseits, die entsprechend kleinere Zielgruppen haben.
6.1.1 Nutzer:innenprozess und -kontakte
Darüber hinaus werden Zusammenhänge zwischen Leistungen aus Nutzer:innensicht erkennbar, wenn beispielsweise aufgrund gleicher Auslöser, zeitlicher Abfolge oder Vor- bzw. Nachrangigkeit von Leistungen Wechselwirkungen bestehen. In diesem Rahmen können Leistungen typisiert werden (z.B. Antrag auf Geldleistung, Antrag auf Genehmigung, Anzeige- und Meldepflicht, Beurkundung), was als Grundlage für die Entwicklung von Blaupausen für die Umsetzung dienen kann.
So lässt sich für priorisierte Leistungen jeweils ein grober Nutzer:innenprozess modellieren. Durch die Kombination der Ist-Prozesse der Leistungen mit Auslöser und Zielgruppe und der zeitlichen Systematisierung können in der Regel eine oder mehrere Lebens-/Geschäftslagen Journey/s identifiziert werden. Besonderes Augenmerk richtet sich hierbei auf Leistungen, deren Kontakterfordernisse zusammenfallen und deren Zielgruppen ähnlich sind, da sich solche Leistungen aus Nutzer:innensicht für eine integrierte Umsetzung anbieten.
Für Leistungen, die in einem Digitalisierungslabor bearbeitet werden, sind zusätzlich die
Geschäftsvorfälle innerhalb der Leistungen zu analysieren bzw. validieren und – sofern notwendig
– zu priorisieren, um einen klar definierten Prozess herauszuarbeiten, dessen nutzer:innenfreundliche, digitale
Gestaltung im Mittelpunkt der Laborarbeit stehen soll. So umfasst ein Großteil der
OZG-Leistungen mehrere LeiKa-Leistungen, die zum Teil unterschiedliche Prozesse der Interaktion
zwischen Nutzer:innen und öffentlicher
Verwaltung umfassen. Zudem umfassen auch einzelne LeiKa-Leistungen verschiedene
Geschäftsvorfälle. Im Falle der Pilotleistung Wohngeld sind dies z.B. Anträge, die Mitteilung
von Veränderungen, Überprüfungen, Informationen und Fragen/Kontakt (siehe Abbildung 31).
Abbildung 31: Wesentliche
Leistungskategorien Wohngeld (nicht vollständig)
Die Auswahl von Leistungskategorien
zur priorisierten Bearbeitung im Digitalisierungslabor sollte auf Basis von Fallzahlen und der
wahrgenommenen Wichtigkeit aus Nutzer:innensicht vorgenommen werden.
Abbildung 32: Fallzahlen
Wohngeld (Quelle: DeStatis)
Am Beispiel Wohngeld veranschaulicht Abbildung 32, dass
wenige Typen der Interaktion zwischen Nutzer:innen und der öffentlichen Verwaltung einen
Großteil des Bearbeitungsvolumens ausmachen. Diese wurden im Falle des Wohngelds durch die
Bearbeitung des Erstantrages und des Weiterleistungsantrages im Digitalisierungslabor
berücksichtigt. Für Sonderfälle mit geringer Fallzahl wurde hingegen zunächst kein nutzer:innenfreundlicher SOLL-Prozess
entwickelt um die Ressourcen des Digitalisierungslabors auf den aus Nutzer:innensicht wesentlichen und in
absehbarer Zeit umsetzbaren Teil der Leistung zu fokussieren.
Abbildung 33: Mögliches Vorgehen
für die vertiefte formale Zielgruppenerhebung und -analyse priorisierter Leistungen
6.1.2
Identifikation und Beschreibung idealtypischer Nutzer:innen
(Personas)
Abbildung
34: Exemplarische Analyse sozio-ökonomischer Merkmale der Zielgruppe einer Leistung
Fallzahlen sowie sozio-ökonomische Daten über die Zielgruppe wie Einkommens- und
Vermögensverhältnisse können zudem ein klareres Bild von der Nutzer:innensituation vermitteln,
was durch die Beobachtung und Befragung von Nutzer:innen weiter verfeinert werden kann.
Insbesondere zu Beginn eines Digitalisierungslabors sollten wesentliche Daten über die
betrachtete Verwaltungsleistung – häufig auf Basis bestehender Auswertungen – zusammengetragen
werden, um eine faktenbasierte Analyse zu ermöglichen. Dazu gehören z.B. Fallzahlen und
Auswertungen in Bezug auf die Leistungsbereitstellung sowie zum Zugang der Menschen zu der
betrachteten Verwaltungsleistung. Abbildung 33 und Abbildung 34 zeigen beispielhaft für das
Pilotlabor Wohngeld initial aufgeführte Analysen in Bezug auf die Fallzahlen und Beantragung des
Wohngelds (Abbildung 35) sowie die Suchanfragen über Google und Top-5 Suchbegriffe (Abbildung
36).
Abbildung 35: Fallzahlen und
Fakten Beantragung Wohngeld (Quelle: Wohngeld- und Mietenbericht 2016, DeStatis)
Abbildung 36: Google
Suchanfragen und Top-5 Suchwörter Wohngeld (Quelle: Google Keyword Planner)
Quellen
können dabei bestehende Auswertungen der jeweiligen Fachlichkeit, Auswertungen bestehender
Einrichtungen wie z.B. DeStatis oder neu erstellte Auswertungen, z.B. auf Basis von Google
Analytics sein.
Eine wesentliche Voraussetzung zur nutzer:innenzentrierten Arbeit ist die Identifikation und
Beschreibung idealtypischer Nutzer:innen, sogenannter Personas. So können anhand der
Nutzungszahlen einer Leistung soziographische Merkmale der Empfänger abgeleitet werden.
Abbildung 37 verdeutlicht dies am Beispiel Wohngeld.
Abbildung 37: Soziodemografische
Merkmale der Haushalte mit Wohngeldbezug (Quelle: DeStatis)
Auf dieser Basis können
im nächsten Schritt typische Nutzer:innen identifiziert werden. Im Rahmen der Laborarbeit
verfolgt die Identifikation von Personas zwei wesentliche Ziele. Zum einen hilft die
Beschreibung von Personas dem Laborteam, sich die typischen Nutzer:innen einer Leistung besser
vorzustellen und vermeidet stark anekdotische bzw. nicht faktenbasierte Annahmen. Zum anderen
dient eine Auswahl typischer Nutzer:innen zu einer möglichst realistischen Zusammenstellung der
Nutzer:innengruppe, mit der die Schmerzpunkte im IST-Prozess identifiziert und die
Zwischenergebnisse des Digitalisierungslabors in Form von Klick-Prototypen getestet werden.
Abbildung 38 zeigt beispielhaft vier Personas, die für die Arbeit im Digitalisierungslabor
Wohngeld herangezogen wurden.
Abbildung 38: Beispielhafte
Personas im Pilotlabor Wohngeld
Je nach Spezifität der Kernleistungen eines
Themenfelds können Personas für einzelne Leistungen gleichzeitig für eine Lebenslage oder sogar
ein Themenfeld insgesamt herangezogen werden, um im Rahmen der konzeptionellen Arbeiten
leistungsübergreifend Lebens-/Geschäftslagen Journeys zu entwickeln und zu validieren.
Für die Erstellung einer Persona kann die Vorlage Persona optional verwendet werden.
6.1.3 Identifikation von Schmerzpunkten aus Nutzer:innensicht im Ist-Prozess (für Laborleistungen)
Die nutzer:innenzentrierte Verbesserung des Zugangs zu der betrachteten Verwaltungsleistung im
Digitalisierungslabor basiert auf einer Identifikation der aus Nutzer:innensicht kritisch
wahrgenommenen Punkte (Schmerzpunkte) im Ist-Prozess. Diese werden in Digitalisierungslaboren
durch bestehende Analysen und Auswertungen sowie durch qualitative Interviews mit Nutzer:innen
entlang der gesamten Nutzer:innenreise ermittelt. Zur Vorbereitung der in der Regel etwa
1-stündigen qualitativen Interviews, die mit einer Gruppe von zunächst 5-10 Nutzer:innen geführt
werden, sind entlang der erweiterten Nutzer:innenreise zu der jeweiligen Leistung die Fragen zu
erstellen. Diese werden um grundlegende Fragen zur befragten Person ergänzt. Abbildung 39 stellt
beispielhafte personaspezifische Fragen aus dem Pilotlabor Wohngeld dar. Abbildung 40 zeigt am
Beispiel Erstantrag auf Wohngeld mögliche Fragen für ein qualitatives Interview entlang der
Nutzer:innenreise. Auf dieser Basis werden die wie im vorherigen Abschnitt ausgewählten
Nutzer:innen zu Ihren Erfahrungen und Wahrnehmungen in Bezug auf die jeweilige Leistung befragt.
Abbildung 39: Personaspezifische
Fragen (Beispiel Wohngeld)
Abbildung 40: Fragen zum
Erstantrag Wohngeld entlang der Nutzer:innenreise
Obwohl diese strukturierte
Vorbereitung der Fragen für qualitative Nutzer:inneninterviews entlang der Nutzer:innenreise zu
empfehlen ist, ist in vielen Fällen auch eine niedrigschwellige, pragmatische Befragung von
Nutzer:innen als Startpunkt hilfreich, sodass der Prozess nicht immer hochstandardisiert
erfolgen muss. In den Pilotlaboren Wohngeld und Ummeldung war eine Nutzer:innengruppe von 5-10
Personen ausreichend groß, um konsistentes Nutzer:innenfeedback zu erhalten. Bei inkonsistentem
oder widersprüchlichem Nutzer:innenfeedback sollte eine Vergrößerung der Stichprobe in Betracht
gezogen werden, um die Einschätzung der Mehrheit der Nutzer:innen
herauszuarbeiten.
Abbildung 41: Vorgehen
Nutzer:inneninterviews Wohngeld
Abbildung 42: Ergebnisse
qualitativer Interviews Wohngeld
Die Ergebnisse der Nutzer:inneninterviews in
Abbildung 42 zeigen am Beispiel Wohngeld qualitativ Schmerzpunkte der Nutzer:innen im aktuellen
Prozess auf. Dazu gehören in diesem Fall z.B. der Wunsch nach verständlicher und übersichtlicher
Information vor der Antragstellung sowie das Bedürfnis nach Rückmeldungen zum aktuellen
Bearbeitungsstand nach Eingang des Antrags.
Abbildung 43: Mögliches Vorgehen
für die vertiefte Erhebung & Analyse der Nutzer:innen priorisierter Leistungen
Die folgende Tabelle gibt mit Blick auf die unterschiedliche Priorität der Leistungen Hinweise, in welchem Umfang die einzelnen Merkmale in den Themenfeldern erhoben und analysiert werden sollten:
|
Laborleistungen |
Laborkandidaten |
Mittlere Priorität |
Depriorisiert |
Zielgruppe |
Abschätzung Größe und Merkmale der Zielgruppe |
Abschätzung Größe und Merkmale der Zielgruppe |
Ggf. Größe und Merkmale der Zielgruppe |
Ggf. Größe und Merkmale der Zielgruppe |
Fallzahlen |
Tatsächliche Fallzahlen oder Näherung über Indikatoren |
Tatsächliche Fallzahlen oder Näherung über Indikatoren |
Näherung über Indikatoren oder fundierte Schätzung |
Ggf. fundierte Schätzung |
Kontakterfordernisse |
Erfassung und zeitliche Systematisierung der Kontaktpunkte |
Ggf. Erfassung und zeitliche Systematisierung der Kontaktpunkte |
Querbezüge zu anderen Leistungen |
Ggf. Querbezüge zu anderen Leistungen |
Stand: 07.10.2021
Attachments:
6.1 Ergebnisse qualitativer Interviews Wohngeld (image/png)
6.1 Vorgehen Nutzerinneninterviews Wohngeld (image/png)
6.1 Personaspezifische Fragen (Beispiel Wohngeld) (image/png)
6.1 Fallzahlen und Fakten Beantragung Wohngeld (Quelle Wohngeld- und Mietenbericht 2016, DeStatis) (image/png)
6.1 Exemplarische Analyse sozio-ökonomischer Merkmale der Zielgruppe einer Leistung (image/png)
6.1 Mögliches Vorgehen für die vertiefte formale Zielgruppenerhebung und -analyse priorisierter Leistungen (image/png)
6.1 Fallzahlen Wohngeld (Quelle DeStatis) (image/png)
6.1 Google Suchanfragen und Top-5 Suchwörter Wohngeld (Quelle Google Keyword Planner) (image/png)
6.1 Beispielhafte Personas im Pilotlabor Wohngeld (image/png)
6.1 Exemplarische Analyse der Zielgruppenspezifität von Leistungen (image/jpeg)
6.1 Wesentliche Leistungskategorien Wohngeld (nicht vollständig) (image/jpeg)
6.1 Soziodemografische Merkmale der Haushalte mit Wohngeldbezug (Quelle- DeStatis) (image/jpeg)
6.1 Fragen zum Erstantrag Wohngeld entlang der Nutzerreise (image/jpeg)
AM_Vorlage Persona.pptx (application/vnd.openxmlformats-officedocument.presentationml.presentation)